Das ABC der  Urlaubsträume:

Viel ist blau auf Curaçao

 

 

ABC-Inseln? Was soll das denn sein? Selbst Karibik-Kenner fürchten, man wolle sie veräppeln: Sind das Inseln für Schulanfänger, wo ihr hinwollt? Curaçao – ist das nicht dieses blaue Gesöff, mit dem man vor vierzig Jahren scheußlich süße Cocktails gefärbt hat, um zögernde Mädchen weichzuklopfen?

 

Na ja, sie liegen nicht gerade auf der Hauptroute, aber doch schon fast am Wege von Barbados nach Cancun/Mexico, 70 km im Norden von Venezuela. Und neuneinhalb Flugstunden vom „Heimatland“ entfernt, denn die „Lesser Antilles“ Aruba, Bonaire und Curaçao gehören noch mehr oder weniger zu den Niederlanden. Mehr oder weniger, weil sie dabei sind, sich teilweise abzunabeln, zu stolz, um sich weiterhin dirigieren zu lassen, zu arm, um ohne die Niederlande überleben zu können. Curaçao ist ab 10. Oktober 2010 „autonomes Land im Königreich der Niederlande“.

 

Die Hitze ist erträglich, als wir Ende Dezember 2009 aus dem Schatten des modernen Hato Airports in Curaçao treten. Der kleine Kia Picanto, den wir übernehmen, hat natürlich eine Klimaanlage – ohne wären die gut 30 Grad denn doch zu viel. Der blaue Curaçao von Bols war nicht auf der Getränkekarte von KLM, und hier sollte er uns auch nur als Besichtigungs-Vorschlag für eine kleine Fabrik begegnen. Dagegen ist der Himmel tiefblau, wenn auch durchsetzt mit mehr oder weniger kompakten weißen Wolken, die uns auch in den kommenden Wochen nicht verlassen werden. Nur nach der einzigen Regenstunde in zwei Wochen war der blaue Himmel wie leergefegt. Dabei herrschte jetzt die Regenzeit (in der in dieser Saison allerdings noch weniger Nass vom Himmel kam als in der trockenen Jahreszeit).

 

Die Bank am Flughafen lässt uns erst ein, als der klassisch uniformierte Sicherheitsmensch hinter der Glastür uns gründlich beäugt hat. Aber da drin steht eine lange Schlange. Nebenan gibt es draußen noch einen kleinen Schalter, an dem die freundliche junge Schwarze bis zu 500 Euro umtauscht. In welche Währung? Anders als die mageren gedruckten Reiseführer empfiehlt sie uns, Gulden der niederländischen Antillen zu nehmen – mit Guilders werden wir in Zukunft bezahlen.

 

Freundliche junge Schwarze? Wir werden nach und nach mit vielen Schwarzen zu tun haben, und die Mehrzahl erscheint uns – wie auf den meisten Antillen-Inseln  muffig bis unfreundlich. Wir sind offenbar von den Malediven verwöhnt... Die Nachkommen der afrikanischen Sklaven bilden auch hier die wachsende Mehrheit. Überall wo Service gefragt ist, kommt man ohne sie nicht aus. Aber ihr Stolz, der sich oft in Uninteressiertheit und Langsamkeit äußert,  ist der Aufgabe nicht gerade förderlich. Da freut man sich über die Ausnahmen.

 

Glücklicherweise spricht die Bankdame gut englisch. Mit Deutsch kommt man hier nicht weit. Verständlich – in zwei Wochen hören wir ein einziges Mal deutsche Laute, als ein deutsches Paar im Hafen von Willemstad fachkundig das komplizierte Anlegemanöver einer riesigen holländischen Sloop mit sechs Saling-Paaren kommentiert. Was wir hier rund herum hören, klingt ein bisschen wie Spanisch. Aber nur manchmal. Dann ein wenig nach Portugiesisch, nach Holländisch. Und dann gibt es da noch „poko“ – ein wenig –  indianische, afrikanische und englische Einsprengsel, wie wir später hören: Papiamento oder Papiamentu wird hier gesprochen. Das Portugiesische kommt von den 20 000 Juden, die nach 1493 aus Portugal ausgewiesen wurden und großenteils hier landeten. Heute sind die Nachkommen der jüdischen Familien die Reichsten der Inseln, und sie unterhalten die älteste Synagoge der westlichen Hemisphäre.

 

Eine halbe Million afrikanische Sklaven sollen hier über den größten Sklavenmarkt der Karibik „vermarktet“ worden sein. Auf diesen südlichen Inseln wurden sie vor allem in den Salinen gebraucht, denn die Versuche zum Anbau von Früchten scheiterten in dem trockenen Klima und auf dem dürren Boden kläglich. 

 

Außerdem sprechen die Inselbewohner das amtliche Holländisch, Englisch für die Touristen aus dem Norden und Spanisch für die Touristen aus dem Süden. Mit vier Sprachen sind die meisten hier dabei – Weiße wie Schwarze.

 

Unsere hübsch bepflanzte, gepflegte Bungalow-Anlage, das Jan-Thiel-Resort, liegt an der Südost-Küste der Insel in einem Vorort der Hauptstadt Willemstad. Von dem nördlichen Vorort Hato, wo sich der Flughafen ausbreitet, fahren wir fast 45 Minuten durch das hügelige Suburbian – das hatten wir uns viel näher vorgestellt. Freie, nur mit niedrigen Buschwerk und schlanken Kakteen bewachsene Strecken wechseln sich ab mit etwas fruchtbareren, weil bewässerten grünen Hügeln, auf denen die auffallend bunten Häuser weit in die Landschaft leuchten – strahlend blau ist hier die Farbe des Jahres, aber auch gelb, rot, grün, orange, lila sind vertreten und drei Farben am gleichen Haus nicht selten.

 

Je näher wir dem Stadtkern kommen, desto dichter wird der Verkehr. Die neuesten Fahrzeuge sind dabei. Das ist keine arme Insel, wie man schnell merkt. Stadtkern – das ist eigentlich völlig falsch. Das Zentrum der Stadt ist eine riesige Brücke, die Julianabridge. Sie überspannt die Sint Anna Baai, die eigentlich ein breiter Kanal ist, der zu einer großen Bucht im Inselinnern führt – seit jeher ein idealer Hafen. wie die Spanier nach der Eroberung 1499 rasch feststellten. Trotzdem übergaben sie die dann als wertlos erachtete Insel 1634 an die Niederlande.

 

Die Brücke ist so hoch, dass auch die höchsten Ozeanriesen bequem darunter durchgleiten können. Sie verbindet die beiden Stadtteile Punda und Otrobanda von Willemstads Altstadt für den Fahrverkehr, während  die Fußgänger über eine malerische, nachts in wechselnden Farben beleuchtete Ponton-Brücke wandeln können, die zur Seite schwimmt, sobald eines der riesigen Kreuzfahrtschiffe die Einfahrt erbittet. Oder ein Tanker oder Frachter. Riesig sieht das Meer von hier oben aus. Und wunderbar blau natürlich...

 

Von der Julianabridge blicken wir links in die große Bucht, aber dann doch lieber wieder schnell nach rechts. Denn links, da umgibt eine riesige Raffinerie mit rauchenden Schloten, wuchtigen Kesseln, gewaltigen Rohöl- und Produktentanks das Naturbecken – bis vor wenigen Jahren das wirtschaftliche Herz der Inseln. Aber heute ist es der Tourismus, der die Bewohner vor allem ernährt, und da würde man den schändlichen Industriefleck mitten im Herzen der Stadt lieber heute als morgen in den Orkus schicken.

 

Schauen wir also lieber nach rechts. Ein gewaltiges weißes Etwas lässt alle Häuser winzig erscheinen: Ein Kreuzfahrtschiff mit einem dutzend Decks , wie wir schätzen (wer weiß, was unter der Wasserlinie noch zu finden ist...), die „Enchantment of the Seas“, die gerade 2446 Personen in die Shopping mile entlassen hat. Weiter draußen wartet die „Grand Princess“ mit noch zwei Decks mehr und 2600 Passagieren. Direkt unter der Brücke – ja tatsächlich – das „Traumschiff“ aus der deutschen Fernsehserie, die „Deutschland“ (mit lächerlichen 520 Passagieren). Ob wir da bald eine Curaçao-Folge sehen? Aber das Traumschiff muss bald Platz machen, denn nachmittags kommt noch die „Ocean Dream“ mit 1022 Passagieren.

 

Dahinter, hinter der weißen Enchantment-Wand aus Tausend Balkon-Kabinen, glüht es farbig – da steht die alte, immer wieder frisch und bunt bemalte Zeile der Häuser im niederländischen Barockstil an der Handelskade in Punda, Weltkulturerbe und sicher eine der meist fotografierten Straßenzeilen der Welt. Unter Schatten spendenden Schirmen sitzen die Touristen beim kühlen holländischen Heineken- oder venezolanischen Polar-Bier und warten, dass die Ponton-Brücke sich wieder einmal mit Geklingel öffnet, um ein weißes Prachtschiff hinein- oder hinauszulassen.

 

Aber am Silvester-Nachmittag dominieren ausnahmsweise einmal nicht die Touristen das Bild in den dahinter liegenden schmalen, aber ebenso bunten und malerischen Geschäftsstraßen.  Unter den Schirmen an der Mole schrecken die Touristen auf, als wenige Meter weiter ein ohrenbetäubender Lärm losgeht und aus einer der auf die Mole zuführenden Straßen dicke schwarze Rauchwolken und ein enormer schwefeliger Gestank dräuen. Die Insider wissen schon Bescheid. Es ist das antillische Feuerwerk "Pagara": Hunderte von Knallfröschen werden zusammengekoppelt und gezündet. Kaum hat sich der Rauch verzogen, zieht man an die nächste Straßenecke, und schon geht’s dort wieder los. So alle Viertelstunde knallt und raucht und stinkt es irgendwo. Bald kehren die Straßenreinigungswagen wahre Berge von roten Papierschnipseln in ihr Inneres.

 

Wissen die Antillenos nicht, was ein richtiges Feuerwerk ist? Sie wissen es schon, auch wenn man es zunächst nicht glaubt. Gegen 6 Uhr abends kehrt nämlich plötzlich Ruhe auf Straßen und Plätzen ein, Geschäfte und Restaurants schließen, die Leute gehen nach Hause... Ende aus amen? Nein. Kurz vor Mitternacht ist die Ruhe zu Ende, da heulen die ersten Raketen gen Himmel. Männer, Frauen, Kinder haben ganze Raketenbatterien vor den Häusern aufgestellt und los geht’s – nicht anders als in China oder Deutschland.

 

Als 1863 der letzte offizielle Sklavenmarkt abgehalten wurde, stellten die Händler die Schwarzen auf der „armen“ Seite des Kanals, in Otrobanda zur Schau. Auch heute sieht man dort noch Sklaven, allerdings aus Ton, Bronze und sonstigen Materialien – im angeblich einzigen Sklaverei-Museum der Karibik. Der Holländer Jakob Gelt Dekker, geboren 1948,  machte sein mit Fitness-Centern, Fotoservice-Ketten und Autovermietungen erworbenes Vermögen großenteils zu Geld, kaufte das Sklavenmarkt-Gelände und richtete hier eine kleine Stadt wie anno dazumal ein – mit ganzen Gassen von restaurierten hübschen alten Häusern, Plätzen, Geschäften, Parks. Die Häuschen werden an die Hotelgäste seines „Kura Hulanda“ vermietet, die aber erst am Sklaven-Museum vorbeidefilieren müssen, das Dekker mit Tausenden von Figuren, Gegenständen und Bildern ausgestattet hat, die im Zusammenhang mit den Sklaven und den Ländern stehen, aus denen sie herbeitransportiert wurden. Eine reichhaltige, übersichtliche, überzeugende Schau...

 

Gleich unterhalb des Kura Hulanda verläuft die Breedestraat (die heute sicher nicht mehr als Breite Straße durchgehen kann), das Zentrum der Schwarzen mit einem kleinen Geschäft neben dem anderen. Da ist Leben. Aber offenbar auch Kriminalität. Weiße trauen sich da abends zu Fuß nicht mehr durch. Wir schlendern in der Dämmerung ein paar Blöcke hinein, aber je mehr wir uns vom Zentrum am Kanal entfernen, desto lauter, schmutziger, finsterer wird es. Als wir sehen, dass der Man hinter dem Tresen einer umlagerten Bar hinter einem stabilen Gitter arbeitet, kehren wir um.

 

Aber Curaçao ist natürlich nicht nur eine Stadt, Willemstad (wenn auch überwiegend, 85 Prozent der gut 140 000 Einwohner leben hier). An der Südküste der etwa 60 Kilometer langen und bis zu 11 Kilometer breiten Insel reiht sich Badebucht an Badebucht, an der Nordküste donnern die vom Passat aufgeworfenen Wellen in zahlreiche wilde Felsschluchten. Die Nordhälfte nimmt der Christoffel Nationalpark ein, zu dessen Erkundung ein Jeep empfohlen wird. Rehwild, Vögel, Leguane und Orchideen soll man in den bis 375 Meter aufragenden Hügeln sehen, aber da muss man Glück haben –  vor allem stechen ganze Wälder von pfahlartigen Kakteen ins Auge. Es dauert Stunden, bis man wieder auf Asphalt kommt;  das Beeindruckendste ist die Dürre der Landschaft. Und einen Kilometer weiter schäumt die Gischt der Boka Tabla fototauglich über die Felsen.

 

Einige der großenteils sandigen Badebuchten  sind von malerischer Schönheit – etwa Playa Lagun im Norden oder Daaibooibay in der Mitte (aber in Sachen Strände soll Curaçao nicht mit dem “A“ der ABC-Inseln, mit Aruba, mithalten können). Richtig was los ist am gepflegten Mambo Beach beim Seaquarium, nahe am Stadtzentrum, und am Zanzibar Beach, dem Strand unseres Jan Thiel.

 

Anders als erwartet, hält sich die Zahl der Amerikaner unter den Touristen in Grenzen. An Wochenenden überwiegen in den öffentlich zugänglichen Badebuchten ohnehin die Einheimischen, aber ansonsten hört man hauptsächlich Holländisch. In Bonaire sind mehr Amerikaner, überwiegend überschwemmen sie aber Aruba.

 

Klein Curaçao dürfe man nicht auslassen, heißt es. Das ist eine kleine, einen Meter hohe Insel etwa zwei schaukelige Schiffsstunden im Osten von Curaçao. Der allmählich verrottende Leuchtturm steht mitten auf dem Eiland statt am Ufer – dort sieht man ihn genauso. Rund herum kein Baum, fast kein Strauch. Vom Südufer aus sieht man die Schiffswracks am der wilden Passat-See ausgesetzten Nordufer.

 

Die „Mermaid“ schippert jeden Morgen von Spanish Water vollgepackt mit Touristen dorthin, später gefolgt vom Segel-Katamaran „Jonalisa“. Für Stunden ist das heiße Inselchen dann bevölkert, unter den Strohdächern gibt es ein Barbecue und viel zu trinken, und wer die sengende Sonne aushält, buddelt am unendlich weißen Sandstrand. Schnorchler bekommen eine Maske und können im Südostteil auf – meist erfolgreiche – Schildkrötenjagd gehen. Auch ein kleiner Rochen ist schon mal im Flachen zu entdecken, während die Fischwelt ansonsten eher mager ist, von Korallen ganz zu schweigen.

 

Ach ja, eigentlich kamen wir ja zum Schnorcheln nach Curaçao. Aber all die angepriesenen Schnorchel-Highlights erwiesen sich unter unseren Malediven-Augen als Luftnummern. Das Wasser zu trüb, die Korallen nicht vorhanden oder zu weit weg und zu tief unter uns, die Fischwelt eher artenarm. Für Anfänger mag es ja ganz schön sein... Wir wurden auf Bonaire vertröstet.

 

Da zog es uns dann zu den großen Fischen – zu den Delphinen im "Seaquarium". Die Amerikaner haben dort eine ganz ordentliche Schau aufgezogen, und wer so etwas noch nicht aus Kalifornien oder Florida kennt, der ist hier gut mit den Kunststücken der schnellen und gelehrigen Schwimmer und Springer bedient. Die Seelöwen-Schau dagegen ist in ihrer Ärmlichkeit eher ein Witz. Ein Boot mit Unterwasser-Schauraum gibt den Blick auf riesige Schildkröten und Grouper frei. In einer Art Gehege stolzieren Flamingos, paddeln Rochen und Wasserschildkröten. Eine Auswahl bunter Korallenfische bieten einige kleinere Aquarien. Interessant ist der große hölzerne Minensucher aus dem Zweiten Weltkrieg, der hier an Land gesetzt wurde, um seine Räumlichkeiten hungrigen Gästen zu öffnen; hölzern, damit die magnetbehafteten Minen ihn nicht in die Luft gehen lassen konnten.

 

Am Zanzibar-Strand  gab es noch einen größeren Brocken: Da war vor Monaten ein Pilotwal gestrandet. Mediziner aus San Diego/Kalifornien hatten ihn mit Spritzen wieder aufgepäppelt, und nun kurvte er in seinem Gehege in der Nähe des Badestrands herum, wo ihm der Wärter abends nach der Fütterung mit einem Besen den Bauch zu streicheln pflegte. Bald durfte er Ausflüge machen, schoss hinter einem kleinen Motorboot her aufs Meer hinaus und kam freiwillig wieder mit zurück. Als er schließlich ausgewildert werden sollte, mochte er nicht. Es half auch nicht, ihn hinter dem Motorboot zu einer Schule von anderen Pilotwalen zu locken – er wollte wieder mit zurück. Jetzt wartete er auf sein Flugzeug, das ihn in den Marine Life Park nach San Diego bringen sollte. Mit ihm wartete ein wechselnder Pfleger – immer ein Freiwilliger aus San Diego. Der Sonderflug sollte 40 000 Dollar kosten. Inzwischen dürfte der Fontänenblaser dort gelandet sein.

 

Auf dem Teller machen sich Fische in Curaçao gut – etwa im Belle Terrace in der Pentstraat (gegenüber dem Avila Hotel) oder im Zanzibar, wo auch marokkanisch und mediterran gekocht wird.  Das Avila scheint eine gute Empfehlung zu sein, wenn man nah am Ortszentrum mit eigenem Strand logieren will. Das Preisniveau ist hier überall eher niedriger als in anderen beliebten Weltgegenden.

 

Hanno Trurnit