Am 1. August 2002 schalten die Signale auf freie Fahrt: Mit der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke Frankfurt-Köln geht eine Milliardeninvestition in Betrieb, die auch Mainfranken schneller mit den Zentren im Westen Deutschland und den Benelux-Staaten verbinden wird. Mögliche Folgeprojekte versprechen einen weiteres Plus für die Standortqualität Mainfrankens: So plant die DB eine neue Quertrasse durch den nördlichen Spessart, die derzeit in drei Varianten zwischen Hanau und Fulda/Würzburg untersucht wird. Sollte dieses Projekt verwirklicht werden, würde die Fahrzeit zwischen Würzburg und Frankfurt deutlich unter die magische Stundengrenze sinken. Nachdem am 8.4.02 die Ergebnisse der „Raumempfindlichkeitsuntersuchung“ für diese sogenannte „Mottgers-Spange“ der Öffentlichkeit vorgestellt wurden, will die DB in Kürze die erforderliche Umweltverträglichkeitsstudie bei den Regierungspräsidien Darmstadt und Kassel sowie der Regierung von Unterfranken beantragen. Nach positivem Abschluss der Raumordungsverfahren (2003/2004) und der Planfeststellung (2005/2006) könnte anschließend mit dem Bau begonnen und der Betrieb bestenfalls im Jahre 2012 aufgenommen werden.
Von der Vision zurück zur Realität: Auf der neuen Strecke zwischen Köln und Frankfurt/Main , die nur noch 177 km lang ist (gegenüber den heutigen 222 Kilometern auf der sog. Rheintalstrecke), wird der ICE 3 mit einer Geschwindigkeit bis zu 300 km/h unterwegs sein. Und das ohne Mühe: Im Testbetrieb wurden bereits 363 km/h erreicht. Die Reisezeit zwischen den beiden Metropolen verkürzt sich damit erheblich von 2:15 Stunden um beinahe die Hälfte auf günstigstenfalls 70 Minuten. Davon profitieren alle Reisenden auf den durchgehenden Linien zwischen dem Ruhrgebiet und Süddeutschland. Mit der Abzweigung nach Wiesbaden und der Anbindung des Flughafens Köln/Bonn – diese wird erst im Jahre 2004 fertig sein – umfasst die Gesamtstrecke des Projekts übrigens 219 Kilometer.
Die vollständige Integration der Neubaustrecke Köln – Rhein/Main erfolgt mit der Einführung eines gemeinsamen Fahrplanwechsels der europäischen Bahnen am 15.12.2002. Ab dem 1. August werden die Reisenden aber bereits in den Genuss der deutlich kürzeren Reisezeiten – und des höheren Komforts – kommen: Die Bahn setzt in der Zeit bis zur vollen Integration der Strecke in das Gesamtnetz Shuttle-Züge ein. Zusätzlich zum jetzigen Verkehr auf der bisherigen Rheinschiene werden auf der neuen Strecke ICE 3-Züge in der Zeit zwischen 6.00 und 20.00 Uhr (Dieser Zeitkorridor gilt nur für den Shuttle-Betrieb bis 15.12. )verkehren und dabei die neuen Bahnhöfe in Siegburg, Montabaur und Limburg-Süd alternierend einbinden. Der Fernbahnhof am Frankfurter Flughafen, der dann von Köln-Hauptbahnhof aus in 55 Minuten zu erreichen ist, wird während des Shuttle-Betriebes von allen Zügen bedient werden. Nach dem Fahrplanwechsel am 15.12. werden 54 ICE 3-Züge eingesetzt; zusätzliche Züge stehen bei steigender Kundennachfrage zur Verfügung, wie die DB versichert.
Die Vorteile der Entmischung von Verkehren zeigen sich im hoch belasteten Rheinkorridor besonders deutlich: Die bisherigen Linien werden künftig stärker für den Regional- und den Güterverkehr genutzt, der Personenfernverkehr dagegen kann auf der neuen Strecke in neue Temporegionen vorstoßen. Deren Trasse folgt im wesentlichen dem Verlauf der Autobahn A 3. Damit konnte eine zusätzliche Zerschneidung der Landschaft weitgehend vermieden werden. Um dies möglich zu machen, waren außerordentliche, zum Teil bislang einmalige, Leistungen in Planung, Logistik und Ausführung notwendig. Die Topographie der Mittelgebirge von Siebengebirge, Westerwald und Taunus stellten hohe Anforderungen an die Ingenieur- und Baukunst: 30 Tunnel mit insgesamt 47 Kilometer Länge und 18 Talbrücken, die längste mit 992 Metern, mussten unter teilweise äußerst schwierigen Bedingungen gebaut werden. Erstmals in Deutschland wurde auf einer kompletten Neubaustrecke der Gleisrost statt in Schotter in Beton verlegt. Und noch in anderer Hinsicht hatte die Neubaustrecke Pilotfunktion: Erstmals hat die Bahn die im Hochbau gängige Praxis des schlüsselfertigen Bauens durch Generalunternehmer auf ein großes Infrastrukturprojekt übertragen und die Hauptlose auf der Basis funktionaler Leistungsbeschreibung vergeben.
Äußerst bemerkenswert ist das Vertrauen, das die DB bei der Vergabe dem Mittelstand entgegengebracht hat. Den Zuschlag für eines dieser Hauptlose mit einer Auftragssumme von rund 1,5 Milliarden DM erhielt nämlich eine Arbeitsgemeinschaft von 11 mittelständischen Bauunternehmen. Einige dieser Partnerfirmen hatten bereits mit einem Qualitätsmanagement-System (QMS) gearbeitet, das Voraussetzung ist für die Übernahme der schlüsselfertigen Erstellung eines derart außergewöhnlichen Bauvolumens. Innerhalb kürzester Zeit mussten sie sich zusammen mit der DB auf ein gemeinsames QMS und damit auf eine fachübergreifende Organisationsstruktur einigen. Sowohl hinsichtlich der Bauzeit als auch der Qualität der Bauausführung konnte die Arbeitsgemeinschaft dem Vertrauen der DB uneingeschränkt gerecht werden. Dies hat die DB darin bestätigt, wie Hermann Graf von der Schulenburg, Konzernbeauftragter der Deutschen Bahn AG für Bayern erklärte, auch in Zukunft bei Projekten im Freistaat verstärkt auf den Mittelstand zu setzen.
Mit der Konzeption der Neubaustrecke stand fest, dass sie eine Herausforderung für die dritte ICE-Generation sein würde: Nicht nur wegen der Fahrgeschwindigkeit, sondern insbesondere deshalb, weil die Strecke Steigungen bis zu 4 Prozent aufweist. Der ICE 3, für diese Anforderungen entwickelt, basiert auf dem Prinzip der verteilten Traktionsleistung, d.h. dass der Antrieb nicht über einen Triebkopf im Zugwagen, sondern über die Hälfte aller Achsen des Zuges mittels der unterflur angeordneten Traktionsausrüstung erfolgt. Als eines von drei Bremssystemen wird erstmals die besonders leistungsfähige und verschleißfrei wirkende lineare Wirbelstrombremse mit Bremsmagneten an den Laufdrehgestellen verwendet. Für den grenzüberschreitenden Einsatz – der ICE 3 fährt bereits auf der Strecke Amsterdam-Köln – sind 17 Züge auch für die Stromabnahme- und Zugsicherungssysteme der westeuropäischen Nachbarn ausgerüstet, sodass an den Grenzen keine zeitraubenden Aufenthalte entstehen. Und noch eine Weltneuheit im ICE 3, der die Reisenden besonders interessieren dürfte: Die Klimaanlage ist völlig FCKW- und FKW-frei, die CO² belastenden Gase kommen auch nicht im geschlossenen Kreislauf nicht zum Einsatz.
Die Inbetriebnahme der Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen der Domstadt am Rhein und der Bankenmetropole am Main wird über zwei Drittel aller Fernverkehrslinien direkt oder indirekt berühren. Der neue Fahrplan ab Dezember, der diesen Änderungen Rechnung trägt, wird ein Jahr Gültigkeit haben; in Zukunft wird nicht mehr unterschieden zwischen Sommer- und Winter-Fahrplan. Grosse Veränderungen sind für Nordbayern nicht zu erwarten: Im Stunden-Takt verkehren stündlich Fernverkehrszüge Richtung Westdeutschland, und zwar der EC von Passau über Regensburg, Nürnberg, Würzburg und Aschaffenburg Richtung Koblenz-Köln-Dortmund, sowie von Nürnberg der IC über Würzburg und Aschaffenburg Richtung Wiesbaden. Interessant ist, dass Letzterer zukünftig auch in Hanau hält , wo der Reisende aus Mainfranken sofort Anschluss nach Berlin hat und dadurch bis zu 1 ½ Stunden früher ankommt. Die genauen Fahrpläne für das nächste Jahr sind allerdings noch nicht bekannt. Eins aber steht schon fest: Die neue Schnellverbindung nach Köln, mit der Sie auch über eine Stunde Zeit einsparen, verlässt den Frankfurter Hauptbahnhof jeweils zur vollen und halben Stunde.
Zusammen mit dem neuen Fahrplan wird die Bahn auch ein neues Preissystem einführen, das wie der DB-Pressechef für Bayern Franz Lindemair sagt, einfach und verständlich sein soll. Zur Höhe der Fahrpreise könne er allerdings zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine konkreten Angaben machen. Während des Shuttle-Betriebes auf der Neubaustrecke Köln- Rhein/Main vom 1.8.02 bis 15.12.02 muss jedoch mit einem Zuschlag von 12 Euro zum bisherigen Fahrpreis der alten Rheinstrecke gerechnet werden zuzüglich 2,60 Euro für die Reservierung. Inhaber von Netz- und Streckenzeitkarten zahlen keinen Aufpreis.
Heiko Trurnit