Die Amish

                              

Wer die Berichte über die Amish kennt, ist zunächst einmal enttäuscht, wenn er in das „kleine Landstädtchen“ Lancaster oder auch die berühmten Dörfer Bird-in-Hand und Intercourse kommt – sie machen mit ihrem Autoverkehr, den Geschäften und den Bewohnern den gleichen „shopping-first“-Eindruck wie andere amerikanische Städte. Man muss schon suchen, um ein bisschen Amish zu finden. Oder eben weg von den Hauptstraßen und auf die Verbindungswege zwischen den Farmen gehen, wo einem dann die Amish-Frauen mit ihren Hauben und die Männer mit ihren (im Sommer) Strohhüten begegnen, die sie tagsüber nicht abnehmen. Aber auch auf den Hauptstraßen verlaufen neben den Autospuren die eigenen Spuren für die Pferdekutschen.

 

Weitere Fortbewegungsmittel der Amish sind Roller mit größeren Rädern und Einkaufskorb, Rollschuhe, selten einmal ein Fahrrad (mit kleinen Rädern). In der Abenddämmerung, wenn es kühler ist, sind dann vor den Kutschen die Pferde unterwegs, die tagsüber wenig bewegt wurden. Dann fährt etwa die Tochter des Hauses zur nächsten Farm, wo der Bauer z.B. eigenes wunderbares Eis herstellt, und ersteht dies aus dem Kutschfenster heraus im Drive-through-Verfahren. Allerdings nicht zu spät, denn wenn es richtig dunkel ist, sind die Amish meist im Bett – sie haben ja keinen Strom und sparen am Licht. Die Lokale sind dicht.

 

Autos und Traktoren kommen ebenso wenig in Frage. Allerdings werden druckluft- und hydraulisch betriebene Geräte eingesetzt, und auch ein Diesel springt einmal an, um die Melkmaschine zu treiben oder Kühlung in die Ställe zu bringen.

 

Erstaunlich, dass dabei das Getreide auf den Feldern besser dasteht als anderswo und auch, die Höfe größer und besser erhalten sind. Auf den Feldern sieht man Pferdegespanne, mit deren Hilfe Heu gewendet oder aufgeladen wird. Das sind eigene, schwerere Arbeitspferde, während die Kutschpferde allesamt schlank und rassig sind. Auch die Kutschen glänzen nur so. Bei unserem Gastgeber (wir waren zwei Nächte auf Schmucker’s Farm, die zu New Holland gehört) gab es für die noch im Haus lebenden erwachsenen Kinder und den Vater jeweils eigene Buggys.

 

Jeder Farmer hat offenbar nebenbei noch einen handwerklichen Beruf, der meist mit Land- oder Forstwirtschaft zu tun hat. Unser Schmucker (heute sein Sohn) z. B. fertigt hölzerne Brückchen aller Größen für Gärten usw. Es sind nur wenige Namen, die auf den Höfen immer wieder auftauchen. Muss wohl eine ziemliche Inzucht sein. Die Amish haben noch mehr Kinder als die Mormonen. Die können natürlich nicht alle Bauernhöfe betreiben, und so wandern sie in die Umgebung, werden aber weder Akademiker, noch ergreifen sie einen Beruf, der mit der Natur nichts zu tun hat. Auch politisch betätigen sie sich nicht. In Pennsylvania, Delaware und Maryland , vor allem östlich von Lancaster, gibt es viele Amish, die versuchen, ihre Tradition im allgemeinen U.S.-Trubel aufrecht zu erhalten. Heute sind die Sitten nicht mehr so streng wie früher. So wird keiner mehr auf immer ausgeschlossen, der die Regeln nicht einhält.

 

Die jungen Leute dürfen sich außerhalb des Amish-Landes ein, zwei Jahre lang die Hörner abstoßen und dann entscheiden, ob sie Amish bleiben wollen oder nicht. Ca. 95% entscheiden sich für Amish! Und das heißt gläubig sein, regelmäßig die Gottesdienste besuchen (die nach wie vor in Farmhäusern für jeweils 25-30 Familien stattfinden, da die Abstinenz von „Staatskirchen“ immer noch eine der Hauptregeln ist), viel arbeiten, keine „unnatürlichen“ Hilfsmittel in Anspruch nehmen, stets die „Uniform“ tragen (in den eigenartig geknöpften Männerhosen gibt es z. B. keine Reißverschlüsse) usw.

 

Was die Sprache angeht, so sprechen die Amish ja angeblich deutsch. Offiziell lernen sie drei Sprachen: Altes Deutsch (für die Gottesdienste und offizielle Veranstaltungen), Pennsylvania-Deutsch (neueres Deutsch mit englischen Einsprengseln) und Englisch als Umgangssprache. Tatsächlich verhält es sich so, dass die Amish englisch sprechen und im Gottesdienst die Bibel auf Altdeutsch lesen.

 

Die Amish kamen ja hauptsächlich aus der Schweiz, aus dem Elsass, aus Baden und Rheinland-Pfalz. Geeinigt haben sie sich auf eine Art altes Elsässer Deutsch. Davon kennen sie auch für den Alltag einige Brocken für bestimmte Tätigkeiten und Gerätschaften, die sie aber inzwischen amerikanisch aussprechen und gegenüber Deutschen auch einmal anwenden. Die Gebete sind altdeutsch.

 

Die Kinder lernen angeblich in der Schule zunächst deutsch, aber es handelt sich dabei wohl nur um das Lesen der Amish-Bibel und die Lieder aus dem „Ausbund“, einem Amish-Liederbuch mit alten deutschen, getragenen Kirchengesängen. Sie können sich nicht mit uns deutsch unterhalten, singen uns aber gern ihre Ausbund-Lieder vor.

 

Die Amish wollen sich nicht integrieren in die unnatürliche, für sie fremde Außenwelt, aber sie akzeptieren die Dinge, die zum Überleben notwendig sind. Und so durfte unser Farmer sich auch eine Stromleitung für die drei Gästezimmer legen.

 

Nun, viele junge Leute, die nach dem Sinn des Lebens suchen, glauben ihn ja bei den merkwürdigsten Sekten zu finden. Da kann man sich schon vorstellen, dass sie auch für das Amish-Leben zu begeistern sind.

 

Übrigens leben die größten Amish-Populationen nicht in dieser wohl dafür bekanntesten Ecke, sondern in Ohio, Indiana und Canada.  

Hier gibt's die Fotos

Hanno Trurnit