LITAUEN
– Die Mitte Europas
26 km nördlich der
Hauptstadt Litauens befindet sich die Mitte Europas. Wer’s nicht glaubt: Ich
war dort, und habe darüber eine Urkunde. Der polnische Dokumentarfilmer
Stanislav Mucha ist auf seiner Suche nach dem geografischen Zentrum Europas ja
zwölf Mal fündig geworden, und sogar soweit östlich wie in der Ukraine. Aber
die Litauer sagen: Unser Mittelpunkt ist der richtige, gemessen vom Französischen
Nationalinstitut für Geografie, und anerkannt vom Guinness-Buch der Rekorde.
Wie dem auch sei, die Gedenkstätte ist idyllisch gelegen in einer sanften Hügellandschaft
nahe eines der 3000 Seen des Landes.
Landschaftlich noch schöner
liegt Kernavé mit seinen reizvollen Bauernhäusern , deren Holzfassaden in den
verschiedensten Farben gestrichen sind. Als der Ort 1279 erstmals urkundlich erwähnt
wurde, befand sich hier das politische und wirtschaftliche Zentrum der Region,
und er wird deshalb als die erste Hauptstadt des Landes angesehen. Das Museum
belegt mit Funden aus prähistorischer Zeit bis ins Mittelalter die reiche
Geschichte von Kernavé, wo jedes Jahr Anfang Juli die
„Tage lebendiger Archäologie“ stattfinden.
Bei diesem Festival werden mittelalterliche Handwerkskünste wieder zum Leben
erweckt, Protagonisten alter Musik geben Konzerte für die Tausenden von
Besuchern, und Ritter demonstrieren ihre Kriegskunst. Man singt und tanzt wie
bei tausend anderen Gelegenheiten in diesem Land.
Auch nur 30 km von der
jetzigen, der dritten, Hauptstadt Vilnius entfernt liegt inmitten einer
Seenkette die zweite, Trakai. In der altertümlichen Wasserburg, in der einst
die litauischen Fürsten residierten, drängeln sich heute die Touristen, um die
Schätze des auf mehreren Ebenen untergebrachten
Nationalen Historischen Museums zu bewundern. Der Bau ist imposant, und
vielleicht das bekannteste Fotomotiv Litauens, aber authentisch ist nur wenig.
Mangels anderer Quellen erfolgte die massive Rekonstruktion
anhand von Beispielen deutscher Burgen. Ich würde aber gerne mal einem der hier
im Sommer stattfindenden Konzerte beiwohnen. Das muss sehr stimmungsvoll sein.
Oder ein Segelboot mieten, um die romantische Umgebung zu erkunden.
Litauen war immer ein
Kreuzweg zwischen Ost und West, Norden und Süden.
Russen, Polen, Deutsche und
Franzosen haben ihre Spuren hinterlassen. Und Vilnius ist das Herzstück des
Landes seit der Zeit des Großfürstentums Litauen, das sich 1430 vom Baltikum
bis ans Schwarze Meer erstreckte. Es war Großfürst Gediminas, der im 14. Jh.
eine Multikulti-Gesellschaft begründete, als er jüdische, slawische,
italienische und viele andere Künstler und Händler einlud, in der Stadt zu
wohnen und zu wirken. Vilnius atmet Kunst und Geschichte aus vielen
Jahrhunderten. Barock ist der vorherrschende Stil in der Altstadt, aber auch
Gotik, Renaissance und Neoklassizismus sind mit Prachtbauten vertreten.
Glanzpunkte dieses Weltkulturerbes sind einige der schönsten Kirchen Europas.
Man sollte sich einfach treiben lassen durch die malerischen Gassen, auch in die
versteckten Hinterhöfe hineinschauen, sich entspannen in einem der
vielen Parks, und zwischendurch vielleicht mal ein Kartoffel- oder Pilzgericht
probieren. Ich kenne keine grünere Stadt als das überschaubare Vilnius, und
kaum eine andere strahlt so viel Charme und Atmosphäre aus. Das Nachtleben ist
berühmt. Ich wäre gerne länger
als zwei Tage geblieben.
In der kurzen Zeit, in der
man im Meer baden kann (Juli/August), aber auch in der Vor- und Nachsaison,
treffen sich Einheimische, Russen, Letten und immer mehr Deutsche in Palanga. Am
Tag aalen sich Tausende an den weißen langen Sandstränden, am Abend bewundern
sie von dem über 400 m langen Steg aus die im Meer versinkende Sonne, und
danach geht es heiß her in den Restaurants, Bars, Nachtklubs und Kasinos. Auf
der Flaniermeile schieben sich die Massen. Es gibt aber auch ruhige Ecken, und
dann ist da der Botanische Garten und der Welt reichstes Bernstein-Museum. Neben
den meist kleineren Hotels werden zahlreiche Privatquartiere angeboten, aber
auch diese muss man frühzeitig buchen, wie mir Vermieter sagten. Die Lithuanian
Airlines hat für nächsten Sommer Direktflüge von Berlin , Frankfurt und
Hannover angekündigt.
Das Gegenstück zu Palanga
ist die einzigartige Kurische Nehrung, wo schon Thomas Mann eine wunderschön
gelegene Sommerresidenz hatte, die ihm zu Ehren als Museum eingerichtet wurde.
Die Landzunge ist das Mekka derer die Ruhe suchen. Nida und die drei anderen
beschaulichen Dörfer mit ihren Hotels liegen zum Haff. Zu den Stränden auf der
Seeseite läuft man 20 Minuten , oder man bedient sich eines Fahrrades –
Verleihe findet man reihenweise -, mit dem sich auch herrliche Touren durch die
umgebenden Kiefernwälder unternehmen lassen. Die bis zu 70 Meter hohen Dünen
bei Nida sind ein unvergessliches Naturschauspiel.
Die Fähre zur Kurischen
Nehrung fährt in wenigen Minuten von Klaipeda aus, der drittgrößten Stadt
Litauens, die wegen ihres Hafens von großer wirtschaftlicher Bedeutung für das
Land ist. Zu deutschen Zeiten hieß sie Memel. Und deutsch sieht die Altstadt
aus mit ihren Fachwerkhäusern aus dem 18. und 19. Jh., die liebevoll
restauriert wurden. In der Mitte des mit Kopfstein gepflasterten Theaterplatzes
steht ein Brunnen, gekrönt von
einer Skulptur des Ännchens von Tharau. Ihr Schöpfer, Simon Dach, wurde in
Klaipeda geboren. Übernachtet habe ich mit den 14 Journalisten aus 7 Ländern,
mit denen ich unterwegs war, im Hotel Klaipeda. Für litauische Verhältnisse
sehr teuer – 125 Euro – bekam ich eine luxuriöse Suite, deren Prunkstück
ein Whirlpool war. Bei einer Übernachtung habe ich drei Mal davon Gebrauch
gemacht. Und nicht zu vergessen: Vom Dachrestaurant des Hotels hat man einen
phantastischen Blick auf den Hafen. Hier traf ich auch Österreicher, die eine
Busreise durch die drei baltischen Staaten machten. In Vilnius waren sie noch
nicht gewesen, aber von den Hauptstädten Riga und Talinn berichteten sie ganz
begeistert.
Ich bin jetzt erstmal
begeistert von Litauen und seinen lebenslustigen Bewohnern. Sie halten ihre
Traditionen hoch, sie lieben Folklore und Musik.. Wann immer sich eine
Gelegenheit bietet, tanzen und singen sie. Auf der anderen Seite spürt man,
dass hier Menschen sind, die nach vorne schauen, die etwas bewegen wollen. Bei
niedrigen Preisen und Löhnen floriert die Wirtschaft. Die Arbeitslosigkeit
liegt unter 5 %. Die Stimmung ist gut seit Litauen als erste Sowjetrepublik
seine Unabhängigkeit proklamiert hat.
In der Nacht des 31.8.1993
zogen die Russen ab. Vier Tage später war der Papst da. Das Volk, das als
letztes europäisches christianisiert worden war, jubelte.
Zu Beginn des Rückfluges mit der Fokker 50 der AirBaltic konnte ich ein letztes Mal hinunter blicken auf die paradiesische Landschaft Litauens mit seinen Wäldern, Seen und Flüssen, und ich versprach mir, zurück zu kommen und mir nächstes Mal mehr Zeit zu nehmen.
Heiko
Trurnit