Tuamotus – fernab der Welt
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Unterwegs im
Südpazifik -
Die
Tuamotus sind nicht gerade der Hit in unserem Reisebüro. Ob es die Inseln überhaupt
findet? Ist doch ganz einfach: Gleich rechts von Tahiti... Aber das hilft auch
nicht recht weiter. Da ist es schon besser, sich mit Verstand und Internet
selbst auf die Suche nach dem günstigsten Reiseweg zu machen.
Aber
warum gerade Tuamotus? 1906 wurden auf einer kleinen Insel des Amanu-Atolls
uralte Kanonenrohre gefunden. Ein australischer Professor ist sicher, dass sie
von einem spanischen Schiff stammen, das dort 1526 auf einer Fahrt zu den Gewürzinseln
(Molukken) strandete. Und ein deutscher Forscher, Dr. Dr. Wolfgang Knabe, hat
entdeckt, dass ein deutscher Kanonier namens Heinrich von Pommern als „Enrique
de Pomare“ auf dem Schiff war und möchte nun herausfinden, ob die Königsfamilie
Pomare von Tahiti möglicherweise von ihm abstammt. Dafür soll in Amanu nach
weiteren Funden geforscht werden, und Nachfahren der polynesischen
Pomare-Familie sollen DNA-Proben abgeben, die dann mit den Proben der Nachfahren
des pommerschen Herzogs Bogislaw X. zu vergleichen wären. Wolfgang Knabes
Forschungsschiff „Mercator“ liegt in Französisch Polynesien und ich soll
ihm helfen, die Weiterfahrt zu organisieren.
In
Raiatea, westlich von Tahiti auf den Gesellschaftsinseln, begrüßt mich
Wolfgang an einem Märztag freudestrahlend und hängt mir – der Sitte gemäß
- eine Muschelkette um den Hals. Io rana! -
Willkommen! Das rote Dinghi, Beiboot der Mercator,
liegt nur ein paar Schritte entfernt, und so düsen wir mit knatterndem
Außenborder bald zum Schiff.
Die
„Mercator“, 10,80 m lang, liegt im Werfthafen, es ist nach zwei Jahren
Liegezeit noch einiges zu tun. Die Sonne brennt um 17.00 Uhr noch höllisch.
Unter Deck weit über 40 Grad. Später ist Schwimmen hinter dem Damm angesagt.
Das Wasser hat fast Badewannentemperatur. Über die Steine am Ufer huschen
Ratten.
Die
erste Ausfahrt geht nach dem jenseits der Bucht liegenden Tahaa Iti. Die
Landzunge der Insel Tahaa lockt mit einem schönen Restaurant. Der Mai Tai
Cocktail ist legendär. Später tuckern wir vor die kleine Palmeninsel Touroa am
Nordost-Pass von Raiatea. Schönes Schnorcheln am Pass. Wir laufen auf der
unbewohnten Insel herum. Irre Hitze, kein Lüftchen, wir jagen jedem Schattenplätzchen
nach. Aber da konkurrieren wir gegen die Mückenschwärme.
Am nächsten
Vormittag sind wir Richtung Bora Bora unterwegs. Kein Problem: der hohe
Otemanu-Berg der Insel ist schon von Raiatea aus immer gut zu erkennen. Durch
den Pass westlich von Tahaa, der heute ruhig ist. Die letzte Stunde zieht sich
– das weit draußen Bora Bora umschließende
Riff muss umfahren werden, immer im Angesicht der dunkelgrünen
Vulkanberge . Gegen 16.00 Uhr passieren wir den Pass von Bora Bora. Bald liegen
wir vor der kleinen Insel Topua Iti in der Lagune. Ich lade die Crew, zu der
inzwischen auch der ehemalige Polizeigeneral von Tahiti, Nicolas Spilmann, gehört,
zum Abendessen ein. Nicolas schlägt das Lokal eines Freundes, eines
Chinesen, vor, das inzwischen von dessen Nichte geführt wird. Es dunkelt allmählich,
als wir vorsichtig mit dem Dinghi über die Lagune schippern, es beim großen
Bora Bora Hotel an einen Steg legen und dann durch das weite Hotelgelände und
auf der rund um die Insel führenden Straße zum Restaurant trotten. Das Hotel
mit seinen schönen alten Anlagen und Bäumen wirkt fast ungenutzt – 1994
hatten wir auf seinem Strand eine phantastisch wilde, lukullisch gewürzte Tamuré-Vorführung
gesehen (gegen die türkischer Bauchtanz ein Reigen aus dem Nonnenkloster ist).
Ein kurzer Regenschauer erwischt uns. Tatsächlich speisen wir dann chinesisch
(und trocknen dabei im warmen Abendlüftchen), Freund und Nichte zeigen sich
nicht. Bei totaler Dunkelheit, kein Mond am Himmel,
über die Lagune zurück – da sind wir noch weit vorsichtiger.
Mit
dem flachen, kleinen Dinghi beginnt eine stundenlange Reise in die östliche
Lagune – dorthin, wo die größeren Schiffe mangels Wassertiefe scheitern.
Fabelhafte Wasserfarben, schöne Inseln, wunderbare, menschenleer wirkende, fast
unsichtbar in die Landschaft eingepasste Hotelanlagen – der besondere Reiz
dieser paradiesischen Motus (kleine Inseln auf dem Rand der Lagune) ist nicht zu
übersehen. Im Hotel Méridien wollen wir einen Drink nehmen, was nicht so
leicht fällt: nur an der Strandbar gibt es eine magere Auswahl. Vor dem nächsten
Motu ist das Lagoonarium untergebracht, wo wir 1994 mit Haien, Rochen und
Schildkröten um die Wette geschwommen und geschnorchelt sind.
Gegen
8.00 Uhr starten wir am nächsten Morgen in Richtung Huahine. Schon wieder
richtig heiß. Gegen 15.00 Uhr legen wir unseren Anker vor Fare. Gegen Abend
zieht ab und zu einer der einsamen Ruderer vorbei, die mit ihren Ausleger-Booten
oft schöne Geschwindigkeiten erzielen. Später starten wir per Dinghi auf
Nicolas’ Einladung in die nahe „Snack Bar Tamarara“. Entpuppt sich als
Feinschmecker-Lokal: Der gegrillte, gekonnt gewürzte Fisch schmeckt
ausgezeichnet, auch der französische Weißwein ist gut.
Gegen
16.00 Uhr am nächsten Tag Anker auf Richtung Tahiti. Nachdem wir Huahine noch
bei Tageslicht nördlich gerundet haben, können wir auf Kurs Richtung Südsüdost
gehen.
Gegen
7.00 Uhr früh laufen wir durch die Einfahrt von Papeetes Hafen, aus dem man
inzwischen die privaten Boote der Dauerlieger, die ihm früher sein Flair
verliehen, längst verbannt hat. Wir
wenden uns westwärts und liegen eine Stunde später nach vorsichtiger Fahrt
zwischen den Seezeichen der Lagune in einer vergleichsweise angenehmen Bucht vor
dem Maeva Beach Hotel ruhig vor Anker. Gutes Essen in Tom’s Fischlokal am
Hafen. Wegen der späten Stunde gibt es nur noch rohen Fisch: Sashini und
Thunfisch-Carpaccio.
Papeete
gleicht heute einer europäischen Großstadt. Der Autoverkehr wächst rasant.
Eine autobahnähnliche Schnellstraße schnürt das Hafengebiet ab. Der riesige
Container-Hafen weitet sich aus. Die große Markthalle allerdings vibriert immer
noch vor südländischem Leben. Und im Hafen rudern die Polynesier wie eh und je
um die Wette. Wer Ursprünglichkeit sucht, muss sich schon Richtung Süden auf
den Weg machen – weit weg vom ausufernden Papeete und vor allem in den steil
aufragenden grünen Bergen ist es noch zu finden, das alte Polynesien... Nur die
bereitwilligen Schönen sind seit Cooks Zeiten rar geworden und kleiden sich züchtiger.
Und auch das „dritte Geschlecht“, die Mahus, findet man nicht mehr an jeder
Straßenecke. Diese als Frauen aufgewachsenen Männer sollten früher das Überleben
eines Stammes sicherstellen, wenn Feinde die Männer alle niederzumachen, die
Frauen aber zu schonen pflegten. Dafür wächst die Zahl der Tattoos, für die
mancher Mann gern mehrere Monatslöhne hinblättert.
Kurzer
Besuch im Musée de Tahiti et des Îles,
in dem die Geschichte der Gesellschaftsinseln übersichtlich aufgearbeitet ist.
Dann wird es Ernst mit den Tuamotus. Für den Flug nach Hao gepackt, wo die
Franzosen für ihre Atomversuche eine der größten Landebahnen des Pazifiks
gebaut haben. Nur 10 kg sind frei, für jedes weitere Kilo sind 5 Euro zu
bezahlen. Die Maschine nach dem 900 Kilometer entfernten Hao startet 6.35 Uhr,
ist voll. Bei der Zwischenlandung in Anaa gegen 8.00 Uhr steigt ein Drittel aus.
Das schöne Atoll Reitoru ist unterwegs gut aus dem Fenster zu sehen, später
das größere Marokau. Gegen 9.00 Landung in Hao. „Papa Michel“, ein französischer
Architekt (mit Elsässer Vorfahren), der in Amanu eine Halle baut, hat ein
Speedboat gemietet und nimmt uns mit (was uns allerdings je 5000 PFC in der
hiesigen Währung kostet). Er ist jeweils vier Tage in Amanu und zehn Tage in
Papeete. Wilder Ritt bei mäßigen, aber steilen
Wellen und frischem Wind – der Bootsführer hat’s offenbar eilig.
Wolfgang spürt seine Bandscheiben noch zwei Tage später. Mit einem kleinen
Bagger wird unser Gepäck in Amanu bei grimmiger Hitze über holperige Wege zu
den ersten Häusern gekarrt.
Wolfgang
ist sicher, dass Maurisette, die er von einem früheren Besuch kennt, für
Unterkunft sorgen wird. So ist es dann auch, in einer Art Schuppen mit ganz
ordentlichen Liegen kommen wir unter. Wolfgangs Gastgeschenk, schwedischen Wodka
mit Zitronengeschmack, nimmt Maurisette nicht an, sie ist offensichtlich
dagegen, dass Alkohol auf die Insel kommt. Später begrüßen uns ihr Vater Pere,
ihre Mutter Heimata, ihr Bruder Bow Stanley, dessen Freundin Noeline und drei
weitere Kinder. Maurisette reicht uns schließlich an Yolande weiter, deren Mann
Evans uns mit seinem Speedboat zum Motu Oehava bringen soll (wo vor ca. 100
Jahren die Kanonen gefunden wurden). Maurisette bietet uns an, mit ihr am
Freitag nach Hao zurückzufahren; wir stimmen zu, so gewinnen wir einen Tag.
Die
paar Steinhäuser und Hütten auf Amanu sind schnell erkundet. Die beiden hübschen
Kirchen liegen etwas außerhalb, in einem Palmenhain nahe am Pass, durch den nur
selten ein kleines Boot in die Lagune brummt – meist recht vorsichtig, weil
unter der Wasseroberfläche verborgene Korallen den direkten Weg versperren.
Yolande
macht uns ein Essen – einen Teil lassen wir uns vorsichtshalber für die
unbewohnte Insel einpacken (ich habe große Bedenken, ob wir dort etwas zu essen
und zu trinken finden). Wir besuchen den Besitzer des Motus Oehava, der vor zwei
Jahren noch dort lebte, obwohl er an den selbst gebastelten Rollstuhl gefesselt
war und nur gelegentlich besucht wurde. Jetzt kann er wieder gehen, wenn auch an
Krücken. Er ist mit unserem Besuch auf seiner Insel einverstanden. Schließlich
ergibt sich, dass seine Frau Maria uns begleiten wird, außerdem Bow Stanley und
Noeline – ein Glücksfall, wie sich später herausstellt.
Die
Polynesier dieser Inseln sehen meist recht adrett aus, doch fehlen ihnen oft
einige Zähne, gelegentlich auch vorn. Vor allem in Papeete fällt der hohe
Anteil der Dicken auf. 34 Prozent der Einwohner sollen übergewichtig sein, 22
Prozent zuckerkrank. Die Polynesier sind scharf auf alles Süße, nicht zuletzt
bei den Getränken.
Es
geht bald los. Evans wird auf der Fahrt von Yolande und seinem kleinen Sohn
begleitet, so dass wir schließlich zu acht sind. Statt der von Maurisette
angenommenen eineinhalb Stunden dauert die Fahrt keine halbe Stunde – auch
Evans hat’s eilig und braust millimeterscharf an den Korallen vorbei. Zur
besseren Sicht hat er seinen Sitz vorn in einer Öffnung am Bug des Boots. Es
wird mit einem Hebel wie ein Flugzeug gesteuert. Auf dem Motu stellt sich
heraus, dass Maria für genügend Betten, Essen, Getränke, eine Gasflasche usw.
gesorgt hat, so dass wir nicht darben müssen. Gutes Wasser gibt es in der
vollen, 40000 Liter fassenden Zisterne, auch ein Duschkabinett, wo man sich mit
einem Behälter das Wasser über den Körper gießt, und ein WC, das mit einem
Eimer problemlos gespült wird.
Ein
großer luftiger Raum in der allmählich verfallenden großen Hütte enthält
einige alte Bettgestelle und Matratzen, auf die Maria und
Noeline
saubere bunte Tücher und adrette Kissen legen – da schlafen wir dann später
alle. Und das bald, denn um 18.00 Uhr ist es dunkel und alle sind müde. Vorher
wird noch gegessen – ein langer Tisch ist bald freigemacht von Gerümpel, Bänke
gibt es auch.
Die
Verständigung ist etwas problematisch. Auch Französisch ist nicht ihre
Muttersprache (die ist Paumotu), aber damit kommen wir einigermaßen klar. Am nächsten
Morgen beginnt die „Forschung“. Das
Motu ist ein einziger großer Palmenhain, der für die Polynesier vor allem der
Kopra-Ernte dient. Während dieser Zeit hausen sie einige Wochen auf der kleinen
Insel. Von deren Enden aus zieht sich ein teilweise überspülter Sandstreifen
auf dem Rand des Atolls hin bis zum nächsten Motu. Der Hauptort auf der größten,
ebenso flachen Amanu-Insel ist von
hier aus nicht zu erkennen, liegt hinter dem Horizont.
Ein
erster Suchgang mit dem Metall-Detektor ergibt nicht viel. Schnorcheln scheint
ergiebiger: Sichtlich unberührte Korallen, enormer Fischreichtum,
Schwarzspitzen-Haie...
Gegessen
wird, was gefangen wird. Wolfgang und ich gehen mit Bow Stanley im Dunkeln auf
die Jagd – mit einer hellen Petroleumlampe (mit Druck und Glühstrumpf wird
sie wirklich hell) und einer Machete. Wohl eine Stunde lang tapsen wir durch das
fußtiefe Wasser am Riff, während Bow Stanley immer wieder einmal unter die
Felsen an den Abläufen zum Meer hin greift und nach und nach fünf Langusten
verschiedener Größe hervorzaubert. Auf dem Rückweg erschlägt er im flachen
Wasser mit der Machete noch fünf Fische. Kein schlechtes Essen für den Anfang.
Maria und Noeline haben Reis dazu gekocht. Um die Fischabfälle streiten sich
die kleinen Riff-Haie.
Ich
schlafe ganz gut, trotz der Geräusche, die großenteils von den großen Krabben
stammen, die draußen am Blech kratzen; oder von dem großen Eber, einem
verwilderten Hausschwein, das sich hauptsächlich von Kokosnüssen ernährt und
darum gern in der Nähe des Hauses stöbert. Zum Frühstück noch Langusten –
aber das packe ich nicht. Nescafé in einer Schale, in den die Polynesier
trockene Kekse brocken. Wir gehen wieder auf der Suche nach Metallteilen – in
der Nähe der Orte, wo Wolfgang vor zwei Jahren einen Schwert-Griff und eine Axt
gefunden hatte. Wir entdecken nur einige kleine, undefinierbare Eisenbrocken.
Langes Schnorcheln, auch um der Hitze zu entgehen. Wieder kleine Riffhaie („Requins“),
auch eine große braune Muräne („Marron“). Schließlich paddle ich fast in
einen riesigen, schlafenden Ammenhai am Fuß eines Korallenstocks. Ich ziehe
mich vorsichtig, aber schnell zurück – wenn sie erschrecken, können auch
Ammenhaie gefährlich werden. Sie schnappen zu und beuteln ihr Opfer wild wie
ein Krokodil. Dann noch einmal mit dem Detektor unterwegs, der zwischendurch
versagt. Eine Sicherung flickt Wolfgang mit Zigarettenpapier. Wir entschließen
uns, einen der
drei
Eisenbarren mitzunehmen, die vielleicht als „Drahtbarren“, also Handelsware,
auf dem alten Schiff waren.
Bow
Stanley geht mit der Harpune ins Wasser, schießt einen großen Papageienfisch
(die hier sehr scheu sind) und einige schöne „Merous“ (beige-braun gefleckt
mit markanten Rückenflossen). Abends werden rund ums Haus Feuer angezündet,
die wegen der Kokosnussschalen schön rauchen und die zahlreichen lästigen
Fliegen vertreiben (aber manchmal auch fast uns). Die Polynesier essen zu jeder
Mahlzeit Reis mit Linsen. Bow Stanley leert mit uns, als die anderen schon
schlafen, noch die antransportierte Flasche Rotwein, später auch die zweite
Flasche Wodka. Da wir kein Eis haben, erfinden wir einen neuen Cocktail: Ein
Drittel Wodka, zwei Drittel Kokossaft. Manuia! Prost!
Mit
GPS vermessen wir die Insel genauer und tragen die genauen Fundstellen ein.
Mittags ist der Motorbootbesitzer Evans mit Yolande, seinem Sohn und Maurisettes
kleiner Schwester da, um uns später zurückzukutschieren. Bow Stanley hat eine
schöne große Stachelmakrele gespeert, die er noch am Ufer schuppt, ausnimmt
und filettiert. Die Stücken schneidet er in Würfel, deren erste wir hier
gleich ohne Zutaten roh am Strand verzehren – und sie schmecken ausgezeichnet.
Der Rest steht später angemacht auf dem Tisch. Wolfgang geht mit dem Detektor
noch einmal am Außenriff entlang, aber das Gerät funktioniert nicht mehr.
15.30
Uhr geht’s zurück. Pere hat uns inzwischen wieder das kleine Häuschen in
Amanu hergerichtet, in dem wir schlafen. Auch ein Abendessen steht bereit: Für
jeden zwei schön knusprig gebratene Fische. Waschgelegenheit ähnlich wie auf
Oehava: Eine Regentonne mit Wasser, ein Gefäß als Schöpfer.
Völlig
überraschend stellt sich am nächsten Morgen heraus, dass wir doch schon am
gleichen Tag mit dem schon im Boot sitzenden Papa Michel zurückfahren müssen,
das für den nächsten Tag bestellte Boot fällt aus.
Noeline scheint über unsere Abreise wirklich traurig. Sie hat für jeden
ein Tütchen mit „Guichi“ (?) vorbereitet, kleinen schwarzen, unregelmäßig
geformten Perlen, wie sie für Armbänder u. ä. verwendet werden.
In
fünf Minuten haben wir gepackt. Der Himmel ist bedeckt, draußen weht es mit
Windstärke 6, die See türmt sich entsprechend auf, die Bootfahrer haben sich
in Ostfriesennerze gehüllt. Da der Wind von achtern kommt, bockt das Boot zwar
weniger als auf der Herfahrt, aber die Seen ergießen sich bei jeder Welle über
die Mitfahrer. Minutenlang surft das Boot auf langen Wellen. Wir sind alle
klatschnass, als wir in Hao ankommen.
Auch
in Hao hat Wolfgang einen alten Bekannten: „Bubu“ Thierry, der als Mineralölhändler
u. a. den Diesel des E-Werks betreut; und seine umfangreiche Frau, die
Polynesierin Francine, die so gerne lacht. Wir werden in einem Container
untergebracht, den Bubu aus Militärbeständen erworben hat, 3 x 2,5 m, mit
Duschkabine, aber ohne Wasser. Reicht gerade für zwei Betten, sonst nichts.
Nachts lege ich mir – wie auf der Mercator – nasse Waschlappen auf die
Brust, um die Schwüle durchzustehen. Francine sorgt für reichhaltiges Essen im
überdachten Außenbereich des Hauses, der ständig von Fernsehprogrammen
berieselt wird. Heute serviert sie u. a. eine wunderbar gewürzte Lammkeule
(deren Reste morgen früh noch einmal auf dem Tisch stehen werden).
Hao
war die Militärstation für das französische Atomversuchsgebiet Mururoa und
bis 2000 für Besucher gesperrt. 1200 Soldaten waren hier, die Offiziere mit
ihren Familien in einer schönen Siedlung. Die Zivilbevölkerung zählte ca. 700
Köpfe. Dann zogen die Franzosen ab, die Bars, Restaurants und Geschäfte
schlossen, Hao wurde zu einem verlassenen Dorf, in dem nicht ein einziges Lokal
mehr existiert. Aber vier Kirchen der Katholiken und der Mormonen („Sanito“,
die z. B. auch in Neukaledonien existiert), die hier auch eine eigene Schule
unterhalten. Inzwischen hat sich die Einwohnerzahl auf etwa 1100 vermehrt. Die
Insel ist fast 40 Kilometer lang, an manchen Stellen nur so breit wie die Straße,
nie breiter als 500 Meter. Der Flughafen ist vom Ort ca. zehn Kilometer
entfernt. Abends fahren einige Autos und Radler die lange Straße auf und ab -
in Ermangelung besserer Unterhaltungsmöglichkeiten. An Wasser gibt es
keinen Mangel, dafür sorgt eine Meerwasserentsalzungs-Anlage. Eine weitere
unterhält Monsieur Danser, der örtliche Beauftragte von Air Tahiti, Händler
und Manager.
Jetzt
sind noch etwa 40 französische Soldaten hier, abgeschirmt von der Bevölkerung;
sie sollen die Bevölkerung lehren, mit der hinterlassenen Technik zu leben. Die
großen Pläne zur Nutzung der schönen Soldatensieldung, des Offiziers-Casinos,
des Tauchclubs und der langen Landebahn (etwa durch den Club Mediterrané) haben
sich zerschlagen, der Bürgermeister wurde offenbar nicht gut genug geschmiert,
um irgend einer für die Bevölkerung vorteilhaften Lösung zuzustimmen.
Inzwischen sind die schön geflochtenen Dächer der Offiziershäuser marode,
alle Türen und Fenster aus den Gebäuden gebrochen, alles abtransportiert, was
nicht niet- und nagelfest war.
Ich
versuche, den schwül-heißen Tag erst in der kleinen Offiziers-Badebucht, dann
im Schatten des Containers zu überstehen. In der Bucht werde ich Zeuge, wie ein
junger Mann und ein Junge ein am Hinterbein angebundenes Schwein ins Meer
zerren, sorgfältig waschen und dann seinen Kopf so lange untertauchen, bis es
sich nicht mehr rührt. Eine ganze
Hundemeute leckt sich schon die Lefzen. Weil Karfreitag ist, mehrt sich der
Betrieb hier. Eine französische Familie ist zum Baden gekommen und betrachtet
das Spektakel missbilligend. „Wir brauchen das Schwein heute fürs
Abendessen“, entschuldigt sich der Schweinemörder. Später hören wir von
Bubu, dass diese Art des Tötens für Schweine und Hunde hier üblich ist.
Bubu
fährt uns mit seinem Transporter über die Insel, Francine sitzt mit mir auf
der Ladefläche, auf einem niedrigen Kunststoffstuhl. Weil sie gerne Musik hört,
hat Bubu einen Extra-Lautsprecher an der Ladefläche montiert. „Musique“,
schreit Francine, wenn einmal Ruhe ist. Auch zwei der Hunde fahren mit,
„Black“, der große, und „“White“, der mittelgroße. White will bloß
dabei sein und legt den Kopf auf die Pfoten, aber Black will genau mitbekommen,
was draußen vorbeizieht, schaut, bellt. Er hatte die Abfahrt verpasst, lief
dann eine Abkürzung, raste laut bellend zur Fahrertür vor und durfte dann während
langsamerer Fahrt noch aufspringen. Bubu und Francine haben noch neun weitere
Hunde, die regelmäßig gefüttert werden, um die sich aber ansonsten niemand
weiter kümmert. Vor zwei Jahren sollen es noch 14 gewesen sein.
1986
war das ganze Atoll 90 cm hoch überschwemmt – es gab kein Atoll mehr, nur
noch das große Meer. Aber die Bevölkerung hatte sich in einen Hangar auf dem
Flugplatz gerettet, niemand kam um, doch 95 Prozent der Häuser waren zerstört.
Bei einem Hurricane im Jahr 1901 soll nach den Annalen nur ein Mann überlebt
haben.
Francine
zeigt uns ihre Sammlung der Gemälde und Arbeiten heimischer Künstler (zu denen
sie auch gehört). Mir schenkt sie eine schöne Sand-Arbeit „pour ta femme“.
Die TV-Nachrichten sind voll von zwei Themen: Die Partei G.I.P. hat am Gründonnerstag
mit ihrer Privatarmee die einzige Zufahrt zwischen dem Hafen von Papeete und der
Stadt gesperrt, um ihrer Forderung nach Loslösung von Frankreich Nachdruck zu
verleihen. Lebensmittel und Sprit drohen knapp zu werden. Im Parlament verteilen
sich die Stimmen zwischen Regierung und Opposition 27 zu 26. Dann läuft wieder
einer über, darum gibt es Neuwahlen, dann das gleiche Spiel wieder... Sehr
labile politische Lage. Loslösung von Frankreich bedeutet wirtschaftlichen
Ruin. Das Hauptprodukt der kleineren Inseln, Kopra, wird von Frankreich hoch
subventioniert: Die Insulaner bekommen 100 PFC je kg, der Weltmarktpreis liegt
bei 17 PFC.
Das
zweite Ereignis: Die Französin Maud Fontenoy rudert in einem
High-Tech-Ruderboot 8000 km von Peru zu den Tuamotus und soll dort in den nächsten
Tagen eintreffen – zwei Wochen vor dem geplanten Termin. Schon Tage vorher großer
Presserummel. Die Dame wurde schon vorher ständig beobachtet, gefilmt,
interviewt, das ganze Boot ist mit Reklame der Sponsoren vollgepflastert. Bei
der Ankunft soll ein großes
polynesisches Fest abrollen.
Schließlich
müssen wir zurück nach Papeete. Auf dem Tisch steht morgens polynesisches
Ostergebäck: Donats in Form einer großen „8“. Und zum dritten Mal der Rest
des Russischen Salats. Francine macht sich zu unserer Verabschiedung besonders hübsch
mit einem bunten Kleid und frischem Blumenkranz im Haar.
Unser
Geldbeutel hat die Schwindsucht – wir mussten doch mehr ausgeben als erwartet.
Wenn Wolfgang jetzt am Flughafen sein Übergepäck bezahlen muss (allein der
Eisenbarren wiegt 20 kg, wie wir beim morgendlichen Wiegen auf dem Flughafen
festgestellt hatten, dessen Empfangshalle wegen eines Regengusses und des
undichten Dachs unter Wasser stand), was dann? Aber Monsieur Danser sorgt dafür,
dass der Barren und der Detektor als „Regierungsgepäck“ nicht unserem Konto
angelastet werden. Sie hätten 140 Euro Fracht gekostet. Vor der Abreise noch
schnell zu den noch verbliebenen Räumen des Hospitals, trotz Ostersonntag kommt
der Doktor extra hin: Wolfgang und ich hatten uns an Korallen Kratzer geholt,
die nun plötzlich wild eitern und schmerzen. Wir werden verpflastert und
erhalten Antibiotika. Im Warteraum verstören uns große Plakate über die
Folgen der durch Mückenstiche übertragenen Elephantiasis: Füße werden so
dick wie Elefantenfüße, Hodensäcke so groß wie Fußbälle... (in Deutschland
beruhigt uns später der Tropenarzt: Es sind viele Mückenstiche notwendig, bis
die Krankheit ausbricht...).
Abschied
wie bei der Begrüßung natürlich mit den üblichen Bussi links und Bussi
rechts, auch bei weitgehend unbekannten Personen, manchmal auch bei Männern
untereinander. Schöner Flug mit Blick auf die Atolle. Nicolas holt uns in
Papeete ab und bringt uns in die „Pension de la Plage“ im Vorort Panaauia.
Abends zum Essen in den „3 Brasseurs“ in Papeete, einem hübschen Lokal mit
Gestühl rings um die alten Kupferkessel; und einem alten Klarinettenspieler,
der Jazz und andere Weisen aus den 50er Jahren dudelt, bei denen wir gleich
mitsummen. Ich esse Tartar de Thon rouge
– wunderbar! Bald ins Bett: Nicolas, der uns zurücktransportiert, hat nur
zweieinhalb Stunden geschlafen, weil er für eine Party mit 14 Leuten Couscous
gekocht und dann kräftig mitgefeiert hatte.
Morgen
will Wolfgang sich darum bemühen, Pomare-Nachkommen ausfindig zu machen, um die
DNA-Proben zu bekommen.
Obwohl
ich um 7.00 Uhr am Flughafen sein muss, bringen Nicolas und Wolfgang mich hin.
Nicolas hängt mir noch eine Korallenkette um; andere, die von großer
Verwandtschaft begleitet werden, haben 20-30 Ketten als dicke Wülste um den
Hals hängen, wie ich neidisch feststelle. Maururu, Auf Wiedersehen,
Polynesien...
Hanno Trurnit